Martin Luther soll sich die Worte „Ich bin getauft“ auf Lateinisch in seinen Arbeitstisch geritzt haben – als ein Memorandum gegen die Angriffe des Teufels, denen er sich ausgesetzt fühlte. Aber für Luther war die Taufe keineswegs nur ein Schutzzauber gegen dämonische Mächte. Er forderte das „tägliche Hineinkriechen in die Taufe“, bei dem „der alte Adam ersäuft“ werde. Was können wir heute damit anfangen?

Sohn Gottes – Messias/Christus (–> Video)

Unser Getauftsein steht in der direkten Linie zur Taufe Jesu. Je nach Evangelisten wird dabei für alle Umstehenden oder nur für Jesus selbst offenbar, dass er der Christus ist: „Da geschah eine Stimme vom Himmel: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“ (Mk 1,11; Lk 3, 22). Beziehungsweise: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (Mt 3,17). Im Matthäusevangelium wird diese Attribuierung wörtlich in der sog. Verklärungsgeschichte (Mt 17,1ff) wiederholt. Hier wird – gleichsam von höchster Stelle – das Bekenntnis des Petrus bestätigt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16; vgl. Mk 8,29; Lk 9,20; Joh 6,69: „der Heilige Gottes“).

Der Sohn Gottes (uios tou theou) ist der Christus/Messias. Das eine ist die latinisierte Form des griechischen Wortes; das andere die gräzisierte Form des hebräischen Wortes. Beide Male ist vom „Gesalbten“ die Rede. Zusammen mit dem bei Jesu Taufe anklingenden Zitat aus Psalm 2 wird deutlich: Es geht um den endzeitlichen, „wahren“ König, der die Königsherrschaft Gottes sichtbar realisieren wird.

Eine weitere Bezeichnung für den Messias lautet „Davidsohn“. Der „Retter“ und „Heiland“ ist ein direkter Nachkomme des legendären Königs David. Den Grundstein für die Dynastie der Davididen legt eine göttliche Verheißung im 2. Buch Samuel. David überlegt, für die Bundeslade ein repräsentatives Haus zu bauen. Durch den Propheten Nathan lässt Gott dem König aber ausrichten: Nicht du sollst mir ein Haus bauen, sondern ich werde dir „ein Haus“, d. h. eine erbliche Königsherrschaft, eine Dynastie, errichten:

„Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein. Wenn er sündigt, will ich ihn mit Menschenruten und mit menschlichen Schlägen strafen; aber meine Gnade soll nicht von ihm weichen, wie ich sie habe weichen lassen von Saul, den ich vor dir weggenommen habe. Aber dein Haus und dein Königtum sollen beständig sein in Ewigkeit vor dir, und dein Thron soll ewiglich bestehen.“ (2. Sam 7,12-16)

Die Rezitation von Psalm 2 bei den Einsetzungsfeiern illustriert die von Gott gewollte Sukzession der israelischen Könige. Zunächst spricht Gott: „Ich aber habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion“ (Vers 6). Danach offenbart sich der neue König: „Kundtun will ich den Ratschluss des Herrn. Er hat zu mir gesagt: ‚Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt‘“ (Vers 7). Politisch bedeutet dies: In mir seht ihr den Stellvertreter Gottes auf Erden.

Die Vorstellung, dass der König ein Sohn Gottes ist, hat Israel vermutlich aus seiner Umgebung übernommen. Dies ist sowohl für Ägypten als auch für Babylonien bezeugt. Alexander der Große wurde als „Sohn des Zeus“ verehrt und auch Kaiser Augustus bezeichnete sich als „Sohn Gottes“. Ebenfalls aus der altorientalischen Umwelt stammt der Brauch, den neuen König – als Zeichen der Verherrlichung – mit heiligem Öl zu übergießen. Diese „Salbung“ führt schließlich zur Bezeichnung „maschiach“, „der „Gesalbte“.

König – Hirte

In bildhafter Sprache werden die Könige Israels als „Hirten“ bezeichnet. Aber nach der Kritik der Propheten sind die meisten von ihnen keine guten Hirten, keine Hirten nach dem Willen Gottes. Deuterojesaja findet plastische Bilder für die verkehrte Ausgestaltung der Königsherrschaft:

„Ihr Tiere alle auf dem Felde, kommt und fresst, ihr Tiere alle im Walde! Alle ihre Wächter sind blind, sie wissen alle nichts. Stumme Hunde sind sie, die nicht bellen können, sie sind faul, liegen und schlafen gerne. Aber es sind gierige Hunde, die nie satt werden können. Das sind die Hirten, die keinen Verstand haben; ein jeder sieht auf seinen Weg, alle sind auf ihren Gewinn aus: ‚Kommt her, ich will Wein holen, wir wollen uns vollsaufen, und es soll morgen sein wie heute und noch viel herrlicher!‘“ (Jes 56,9-12).

Die Kritik an der Herrschaft der Könige hat den Fokus: Gott allein ist der „gute Hirte“ (Ps 23). Nach Gottes Willen sollte der von ihm adoptierte König eigentlich sein Volk gut versorgen („führen zum frischen Wasser“), es gut leiten und angesichts von Bedrohungen verteidigen und „immerdar“ Schutz gewähren. Aber die politischen und religiösen Herrscher sind hinsichtlich dieser übertragenen Aufgaben zu Totalausfällen geworden. Stattdessen herrschen böse („fremde“) Geister, die viele Menschen unterdrücken und unfrei machen. So wächst im Volk die Hoffnung auf einen „Gesalbten“, der wirklich im Einklang mit dem göttlichen Willen und Geist die Welt zum Guten verändert.

Königsherrschaft Gottes

In dieser Tradition steht auch Johannes der Täufer. Er bietet eine Taufe zur metanoia (Mt 3,11) an, die die Menschen auf die nahende Königsherrschaft Gottes vorbereiten soll. Metanoia ist heute besser mit „Umkehr“ als mit „Buße“ zu übersetzen: Es geht um eine radikale Wende in der Lebensausrichtung.

Jesus von Nazareth unterstreicht diese Kehrtwende durch seine Gleichnisse von der Königsherrschaft Gottes. Er hält zum Beispiel den religiösen Führern einen Spiegel vor: „Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet?“ (Lk 15,4) Die Antwort ist: Keiner! Selbstverständlich würde dies kein vernünftiger Hirte tun! Und selbstverständlich spielt der/die Einzelne in den Überlegungen eines „normalen“ religiösen oder politischen Führers keine besondere Rolle! Diese gängige Haltung drückt der Satz des Hohepriesters Kaiphas aus: „Es ist besser, dass ein Mensch stirbt, als dass das ganze Volk verdirbt“ (Joh 11,50). Jesus hat eine völlig andere Vorstellung von Führung und Hirte-Sein: „Meine Königsherrschaft sieht anders aus“ (Joh 18,36)! Er bezeichnet sich als den „guten Hirten“: Er hat eine persönliche Beziehung zu jedem/jeder Einzelnen in seinem Volk (Joh 10,11ff) und will da sein für die Seinen „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).

Gotteskindschaft

Die Geschichte von der Taufe Jesu – und die damit verwandte von der „Verklärung“ wie auch der Hinweis auf den Stammbaum Jesu (Mt 1,1-17) bzw. die Herkunft seines Vaters Josef (Lk 2,4) – drücken die Überzeugung aus: Dieser Jesus von Nazareth ist der erwartete „Gesalbte“, der Christus.

Indem Menschen „auf den Namen Jesu Christi“ getauft werden, gilt die alte Zusage Gottes zum Messias analog für alle Getauften: Ich will „euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der allmächtige Herr“ (2. Kor 6,18). Die Ergänzung des alttestamentlichen Zitats durch „und Töchter“ spiegelt die egalitären Geschlechtsverhältnisse in den neuen christlichen Gemeinden wider. In Gal 3,26 spricht Paulus noch allgemein: „Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus“. Leider gelingt es der deutschen Übersetzung nicht, die Tiefe der eigentlichen Wortbedeutung wiederzugeben. Im Griechischen wird für „Gottes Kinder“ die Mehrzahl des generischen Maskulinums „Gottessohn“ verwendet. Die wörtliche Übersetzung lautet also „Durch den Glauben seid ihr alle Gottessöhne (uioi tou theou) im Messias Jesus.“

„Kinder Gottes“ sind adoptierte Würdenträger. Aber die Würde eines Menschen hängt freilich nicht von der Taufe ab. Es wäre eine blasphemische Anmaßung zu behaupten, nur diejenigen wären „Gottes Kinder“ und „von Gott liebevoll angeschaut“, die – unter welchen Umständen auch immer – getauft wurden. Diese irrige Annahme könnte eben gerade vom Missverständnis der ursprünglichen Bezeichnung der Getauften als uioi tou theou herrühren.

Status – Habitus – Engagement

Was den Status „vor Gott“ angeht, gibt es „bei Gott“ keinen Unterschied zwischen Getauften und Ungetauften. Gottes Liebe gilt allen Menschen. In der Bergpredigt sagt Jesus:

„Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,44f)

Einen Unterschied „in der Welt“ macht jedoch der Habitus, der mit der Taufe verbunden ist. Bei Ordensgemeinschaften ist es nach wie vor üblich, die gemeinsame Haltung, die Gesinnung und das eigene Verhalten durch eine besondere Kleidung zum Ausdruck zu bringen: den Habit. In der Alten Kirche wurden die Getauften neu eingekleidet. Kol 3,12 greift diese neue Lebensausrichtung auf: „So zieht nun an als die Auserwählten Gottes (= die von Gott Beauftragten), als die Heiligen und Geliebten (= die von „göttlichem Stand“), herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld … Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band (= der Gürtel) der Vollkommenheit.“

Der Habitus der Getauften hängt mit dem besonderen „Amt“ zusammen, das ihnen übertragen wurde. Im altkirchlichen Taufritus – wie heute noch in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen – werden die Getauften unter Handauflegung mit heiligem Öl gesalbt. Das heilige Öl erinnert an die Einsetzung der Könige. Mit ihm wird der Geist Gottes über den neuen Würdenträger „ausgegossen“. Die Handauflegung ist das altorientalische Ritual für die Bestätigung und Beauftragung am Ende einer Ausbildungszeit. Zusammengenommen bedeuten beide Rituale: Dir ist der Heilige Geist verliehen. Geh nun hin und wirke im Geist des Christus Jesus, deines „Meisters“!

Darin liegt die politische Bedeutung der Taufe: Die Getauften sind in die Nachfolge des Christus Jesus gestellt, der die Königsherrschaft Gottes von Neuem zur Geltung bringt. Wer wie Jesus Gott als „Vater“ bezeichnet, versteht sich als Inkarnation des uios tou theou, als König*in, d.h. als Hirt*in. Er/sie sieht sich in der Mitverantwortung dafür, dass Gottes „Reich komme“ und sein „Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“.

So gesehen ist das „Vaterunser“ weniger ein Bittgebet als vielmehr ein ausführliches Mantra von Getauften, damit deren Bedeutung „für das Ganze“ zum Habitus wird: Wir sind Christus – Stellvertreter*innen Gottes auf Erden.

Vom Engagement für Obdachlose und Geflüchtete über ein verändertes Konsumverhalten im Sinne von Tierwohl und nachhaltiger Landwirtschaft bis zu einem gerechteren „Um-Steuern“ und dem Eintreten für eine Energie- und Mobilitätswende – Getaufte haben sowohl eine begründete Verantwortung für unsere Welt. Sie sind „das Salz der Erde“ und „das Licht der Welt“ (Mt 5,13f).

Ich merke, wie sich das Evangelium von der Taufe her neu erschließt. Insofern könnten wir uns ja – wie Martin Luther – auch auf unsere Arbeitstische, als Post-it an den Monitor, auf den Badezimmerspiegel und hinter die Ohren schreiben: „Ich bin getauft.“ Und als Mitarbeitende in der Kirche haben wir vielfältige Möglichkeiten, an die eigentlich politische Bedeutung der Taufe zu erinnern.

Herbert Kolb, 7/2021